Wissenschaftssprache ist erlernbar

„Akademisches Schreiben ist keine kreative Arbeit.“ Nicht selten ist dieser Glaubenssatz Ursache für eine Schreibblockade. Weil viele Studierende imitieren statt eine eigene Stimme zu entwickeln.

Wissenschaftliche Arbeiten folgen einer scheinbar starren Struktur

Wissenschaftliche Arbeiten folgen Regeln und Strukturen und verwenden eine eigene Sprache. Dieses Korsett ist für den wissenschaftlichen Diskurs unabdingbar. Es gewährleistet Vergleichbarkeit und ist notwendig, damit sich Wissen weiter entwickeln kann. Für Studierenden ist die Wissenschaftssprache zunächst einmal Neuland. Sie glauben, dass es in diesem Spannungsfeld wenig Spielraum für aufgeschlossenes, kreatives Denken und Handeln gibt.

Imitation eines Stils macht keine wissenschaftliche Arbeit

In meiner täglichen Arbeit beobachte ich, dass viele Studierende einen scheinbar richtigen Wissenschaftsstil zu imitieren versuchen. Sprache in wissenschaftlichen Texten – vor allem im deutschsprachigen Raum – ist häufig sehr abstrakt. So ranken sich zahlreiche Mythen um die do’s und dont’s beim Verfassen akademischer Texte. Beispielsweise glauben viele Studierende „ich darf nicht in ‚Ich‘-Form“ oder „ich muss möglichst kompliziert und abstrakt“ schreiben. Sie entfernen sich beim Schreiben akademischer Texte von sich selbst, verwenden eine für sie fremde Sprache und ihre eigene Stimme bleibt dabei auf der Strecke.

Die Eigenleistung als wichtiges Bewertungskriterium

So entstehen Texte, bei denen Studierende Gedanken aus der Literatur scheinbar zusammenhanglos und ohne Struktur aneinanderreihen. Sie erfüllen auf diese Weise zwar die Kriterien „kennt die Literatur“ und „berücksichtigt vorhandene Erkenntnisse“, die Eigenleistung bleibt aber auf der Strecke. Gerade sie fällt bei der Bewertung stark ins Gewicht. Formal betrachtet erbringst Du eine Eigenleistung, indem du bereits bekannte Erkenntnisse erarbeitest, umstrukturierst und daraus neue Erkenntnisse gewinnst oder etwa eine eigene empirische Studie durchführst. Anders ausgedrückt geht es darum, deine eigene Stimme zu entwickeln.

Gratwanderung zwischen vorgegebener Struktur und eigenem Denken

Die besten wissenschaftlichen Arbeiten schaffen die Gratwanderung zwischen den starren Regeln, Strukturen und vorangegangener Forschung und einer eigenen Stimme. Hiermit ist nicht gemeint, dass du eine eigene Meinung kundtust. Damit ist gemeint, deinem eigenen Denken zu trauen, es auszudrücken, dich auf die Forschungserkenntnisse anderer zu beziehen und deine Ergebnisse in die wissenschaftliche Diskussion einzubringen.

Wissenschaftssprache kann man üben

Du kannst den Spagat zwischen Wissenschaftssprache und eigener Stimme trainieren. Probiere es einfach mal aus: Nimm einen kurzen wissenschaftlichen Text oder ein Konzept, eine Theorie oder eine Methode, die du in einer Vorlesung gelernt hast. Schreibe kurz einige Aspekte für eine Zusammenfassung oder Stellungnahme. Notiere dir auch, auf welche Quellen du dich beziehst und schreibe evtl. ein, zwei Zitate heraus. Dann lege das Arbeitsmaterial weg, nimm dir ein weißes Blatt Papier und schreibe so, wie die der Mund gewachsen ist. Du kannst dafür auch gerne die Ich-Form verwenden! Stelle dir vor, du möchtest den Sachverhalt einer Kollegin erklären. Beziehe dich auf das Arbeitsmaterial, aus dem du deine Informationen hast. Setze dir dafür ein Zeitlimit, etwas 15 Minuten.

Fertig ist dein Rohtext! Du kannst ihn überarbeiten, verdichten, Zitate einbauen und sprachlich verbessern. Auf diese Weise hast du einen wissenschaftlichen Text geschrieben, mit deinen eigenen Worten, in deinem eigenen Stil ohne jemand anderen zu imitieren!

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